Dienstag, 27. Juli 2010

"hab meine homosexualität gerade mal aufs Eis gelegt"

Das war die Antwort eines Freundes auf meine Frage nach seinem Befinden. Wir Schwulen sind ja bekanntlich auch gleich direkter und erzählen gern und ausführlich aus unserem Sexualleben. Mach ich jetzt nicht immer unbedingt – aber es kommen auch nicht viele Fragen dazu. Ja, man kann nämlich auch erst erzählen, wenn jemand einem eine Frage gestellt hat.

Rein pragmatisch war meine eigentliche Frage konkret nicht so gemeint („Und, alles klar bei dir“?), jedoch herrscht im Schwulsprach (frei nach Orwell) das Übereinkommen, dass diese Frage auf den sexuellen Beziehungsstatus abzielt. Klingt komisch, ist aber so. So weiß man alsbald, wo und wie man dran ist. (Wenn man das selber mal erfahren will, kann man sich ja einen Fake-Account bei schwulen Web 2.0-Netzwerken erstellen und ausprobieren.) [Anm. d. Autoren: Hab jetzt bei der Durchsicht des Protokolls festgestellt, dass ich ihn gefragt hatte, ob er beim Lovepop – einer lesbischwulen Party-Reihe – war; also war ich doch konkreter. Aber ist ja an sich wurscht, oder?! Also Freiheit des Autoren :) Apropos, Word sagt, dass’s „des Autors“ heißt…]

Wer jetzt aufgepasst hat, dem ist ganz am Anfang etwas aufgefallen. Es heißt sehr wohl eigentlich „etwas auf Eis legen“, also „ruhen lassen“. Und ja, berechtigte Frage: Wie kann man seine Sexualität „ruhen lassen“? Ist sie nicht immer da und kann nur verneint oder versteckt werden? Oder nur die Neigung, und mit Sexualität ist hier die körperliche Lust gemeint? Und wäre folgende Aussage nicht einfach viel interessanter: „Ich habe meine Homosexualität aufs Kreuz gelegt“?

Da haben sich wohl zwei Sprichwörter und zwei Inhalte wunderbar vermischt. Natürlich meinte mein Bekannter nicht, dass er seine Neigung still hält, sondern nur deren Auslebung; wodurch er wiederum die Neigung doch „still“ hält, irgendwie. Aber homosexuell ist er weiterhin. Wenn sich nichts ergibt, ist das auch nicht weiter schwer. Finden kann man allerdings immer etwas, das ist bekanntlich kein Problem. Aber das ist definitiv nicht mein angestrebtes Ziel – andere können das ruhig machen, brauchen sich dann aber nicht zu wundern.

Und trotzdem muss ich selbst meine Homosexualität nicht auf Eis legen – sie existiert und ich lebe sie so aus, wie es für mich passt; nur merken tun das halt die wenigsten. Wenn der „Markt“ größer und ansprechender wäre, wäre meine Nachfrage letztendlich auch erfolgreicher. Das mit dem Ausleben kommt jetzt ungefähr so rüber, wie wenn ein Alkoholiker nicht trinkt – als wenn das Ausleben der Sexualität etwas Schlimmes wäre… Nur der Alkoholiker trinkt, weil er süchtig ist. Der Sexualmensch treibt‘s, weil er Triebe hat. Aber wir sind darüber hinaus auch zu Gefühlen fähig – die tötet der Alkoholiker mit dem Grund seiner Sucht: dem Alkohol.

“und komischerweise fehlt auch nichts” war der Folgesatz meines Chat-Partners. Ja, Sex und Sexualität gehören zum Leben. Aber man kann auch gewisse Zeit ohne den sexuellen Akt an sich auskommen. Das ganze Feld ist ja auch viel weiter: Blicke, Tagträume, Berührungen, Erinnerungen, und letztendlich auch die neuen Medien. Ich hätte ihn eigentlich zu seiner Erkenntnis beglückwünschen müssen. Aber zuvor habe ich ihn auch nicht als nymphomanes Sexmonster wahrgenommen.

So sehen aber wohl die US-Militärs ihre homosexuellen KollegInnen – beziehungsweise hätten sie sie wohl so gesehen, hätten sie von deren Neigung gewusst. Das jahrzehntelange menschenunwürdige „Don’t tell“-Gesetz hat nämlich jedem US-Amerikaner die Tür zum Militär geöffnet, auch Homosexuellen, nur mit der einen Einschränkung: Sie dürfen nicht über ihre Neigung sprechen. Das ist deshalb menschenunwürdig, weil es in gewissen Punkten gegen die Meinungsfreiheit geht.

Wie oft habe ich Gespräche unter Männern – die nichts von meiner Homosexualität wussten noch ahnten – miterlebt, in denen ohne Ende Körper von Frauen und sexuelle Handlungen mit denselben bunt-fröhlich diskutiert wurden; oder wenn ich von Unkundigen gefragt werde, „wie’s denn bei mir aussieht“; oder wenn ich im Ausland von Taxifahrern gefragt werde, wie ich denn die Frauen in ihrem Land finde oder wie sie denn in meinem Land sind. Am Anfang antworte ich natürlich mit „hübsch“ etc. Irgendwann geh ich aber dann ins Diplomatische über: „Es gibt Hübsche und weniger Hübsche – so wie überall.“ Dann ist meistens Ruhe. Das ist eindeutig kein StraightMenSpeak. Oder ich tue so, als wenn ich genau in dem Moment nichts verstehe – so wie die Taxifahrer, wenn es um den Preis geht.

Es sind jedoch genau diese Momente, in denen man sich schlichtweg „nicht frei bewegen kann“, im metaphorischen Sinne. Man ist nicht man selbst. Man zeigt der Außenwelt ein falsches Ich. Müsste mir bei Taxifahrern eigentlich ziemlich wurscht sein. Aber selbst in solchen banalen Gesprächen fühle mich nicht frei. Und dennoch beherrsche ich das Überstreifen des Heterokostüms ganz gut. Oft nicht ganz unnütz; aber an sich sollte ich es nicht brauchen müssen…

Diese Art Travestie mussten auch die homosexuellen US-Militärs mitspielen: das Vorspielen einer nicht existierenden Heterosexualität, das Versteckspiel der eigentlichen Empfindungen, das Verneinen möglicher Gefühle. Erinnert an die katholische Kirche [Anm. d. Autors: Ich habe den Text im Januar geschrieben! Jetzt möchte ich auch noch den DFB hinzufügen.], an die konservative Gesellschaft, an ein vergangenes Jahrtausend. Ja, wir sind schon im Jahr 2010.

Zum US-Militär aber jetzt mal blöd gefragt: Wäre es eigentlich nicht besser für alle ängstlichen heterosexuellen SoldatInnen, wenn sie wüssten, vor wem sie die ganze Zeit Angst haben müssen? Ich fände es ja viel unangenehmer, nicht zu wissen, wem ich nicht nackt gegenübertreten darf, oder wem ich nicht meinen Po entgegenstrecken darf (Stichwort „mein Arsch bleibt Jungfrau“), ohne sofort ohne Unterlass vergewaltigt zu werden… Warum geht also die Abschaffung des Gesetzes von den liberalen Bewegungen aus?

Pervers ist sowieso, dass heterosexuellen Männern die Angst vor Homosexuellen inhärent ist; ich sage nur „Ups, die Seife…” Für den wohl bekannten Supergau müssten schon einige besondere Faktoren zusammenkommen: Man stelle sich vor, dass jemand in der Gruppendusche eine Seife fallen lässt und diese aufhebt, indem er sich vorbeugt (man kann dafür übrigens auch in die Knie gehen…) – das in die Luft gereckte entblößte Hinterteil dient prompt allen anderen Männern mit homosexuellen Neigungen ohne Unterlass als Einladung; man stelle sich nun weiter vor, dass ein Mann von der anderen Seite der Dusche mit seinem im Nu erigierten Penis – der Klang des Fallens der Seife auf den nassen Boden als akustischer Auslöser und als visueller die eingeseiften und vom Wasser glänzenden Vierbuchstaben – auf den Seifenaufheber zustürmt und direkt in ihn…

So stand’s schon in der Bibel und so hat’s jeder schon mal erlebt… und vor allem ist das ist der Traum eines jeden Homosexuellen… besonders weil er auch 100%-ig nur daran denkt, sofort zum Höhepunkt zu kommen und von den Umstehenden bejubelt zu werden, und nicht dass die restlichen Anwesenden ihn sofort lynchen würden.

Es ist sowieso interessant, dass die Homophobie zum Einen auf die verweiblichten Schwuchteln gerichtet ist, die Frauenkleider tragen und die Männlichkeit durch den Dreck ziehen, und zum Anderen auf die bärenstarken Dauervergewaltiger ohne Gnade, die ihre übersteigerte Männlichkeit zur bloßen Zerstörung zarter heterosexueller Seelen nutzen. Der Homosexuelle, der Alleskönner und Alleszerstörer.

Aufs Schärfste zu verurteilen sind natürlich Männer, die andere Männer missbrauchen und vergewaltigen. Aber diese Täter zählen sich sicherlich nicht zu den „normalen“ Homosexuellen, wenn sie sich überhaupt als schwul outen würden. Woher deren Fehlverhalten rührt, ist sowieso eine ganz andere Sache. Und männliche Vergewaltiger gibt es auch auf „heterosexueller Seite“. Die Sexualität/Neigung spielt dabei auch an sich keine Rolle, Liebe und Zuneigung fehlen in diesen Fällen komplett. Eine Geschichte, die ich vor Kurzem gehört habe unterstreicht dies: Bei den letzten Protesten gegen die Regierung im Iran habe es auch Gefängnisaufstände gegeben; die Gefängniswärter sollen daraufhin die Insassen reihenweise vergewaltigt haben – als Strafe. Rein heterozentristisch blieben die Wärter als Penetrierer (und Strafender) auch heterosexuell – die Insassen wurden zur Strafe quasi homosexualisiert…

Dabei ist in gewissem Maße anzumerken, dass Gefängniswärter auch arme Schweine sind. (Wiederum: Welches Kind sagt, es möchte, wenn’s mal groß ist, Gefängniswärter werden!?) Bei den Gefangenen besteht schließlich die Möglichkeit entlassen zu werden, die Aufpasser sind selber viel länger „drinnen“. Bevor ich dieses Thema jedoch ausbaue, empfehle ich den spanischen Film Celda 211.

Zurück zum Anfang. Meine Homosexualität ist gewissermaßen auch auf Eis. Passiert ja nichts, bewege mich aber auch nicht in der „Szene“ – eher im Gegenteil: im familiären Kreis. Zu allem Überfluss wollen es meine Eltern nämlich (immer noch) nicht wahrhaben: „Findest du keine?“ Nein, ich finde keine und auch keineN. Auch meine Eltern haben meine Neigung aufs Eis manövriert – mal sehen, wann meine Homosexualität ins kalte Wasser einbricht. Oder breche ich irgendwann ein und werde aus totaler Verzweiflung eine Frau heiraten? Nein, das wäre ja der Untergang der Welt… Schmarrn, meine Sexualität müsste ich dann nur außerehelich ausleben. Also rein theoretisch… na ja, Schmarrn bleibt Schmarrn.

Vielleicht sollte ich mal doch mal in der Szene aufkreuzen. Oder wenn schon andere ihre Neigung auf Eis legen, kann ich mal versuchen, meine Homosexualität aufs Kreuz zu legen. Probier ich mal, mal sehen, was dann passiert.

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