Dienstag, 27. Juli 2010

Der aufoktroyierte Super-GAU

„Ich möchte bitte dasselbe!“ Freundlich bitte ich die Frankfurter Crêpes-Frau darum, mir auch eins mit Kirschen zuzubereiten wie meiner Vorgängerin; jedoch macht ihre Antwort nicht nur die Kirschen sauer: „Das ist aber der Gleiche und nicht derselbe!“ Als Bedienung hätte sie ihr Trinkgeld aufs Spiel gesetzt; so kann ich aber nur mit einem müden Lächeln erwidern.

Ja, klar, wir wissen es alle: DASSELBE bezieht sich auf ein weiteres Referenzobjekt, was identisch zum Erstgenannten ist – DAS GLEICHE bezeugt lediglich eine Ähnlichkeit zum Vorgängerobjekt. Dass ich aber die Crêpes-Frau nicht um den Crêpe (oder die Crêpe?!) meiner Vorgängerin gebeten habe – also dass sie hinter ihrem Stand vorkommt, meiner Bekannten den Eierkuchen aus der Hand reißt und ihn dann feierlich mir übergibt… Aber, was hätte das dann eigentlich gekostet?! Wäre sicher billiger gewesen als der Kauf an sich. Und lustig zum Anschauen wär’s auch gewesen!

Wir merken uns also: Wenn ich vom selben Brot esse wie du, dann gibt es nur ein Brot; wenn ich das gleiche Brot schmiere wie du… nee, Moment. Das geht nicht, so klappt das nicht. Noch ein Versuch: Wenn ich dieselbe Hose habe wie du, dann gibt es nur eine Hose, also hab ich sie dir geklaut oder du mir; wenn ich die gleiche Hose habe, dann waren wir beide bei H&M. Gut repräsentiert wird das Ganze auch durch die Wendung EIN UND DASSELBE, wodurch eben der Bezug auf ein einziges Objekt hergestellt wird. [Es ist jedem Leser selbst überlassen, sich gleich noch weitere Beispiele ähnlichen Musters zu überlegen.]

Um künftig jedoch solche mühseligen Diskussionen zu vermeiden, könnten wir ja umsteigen, und zwar vom Zug von Selb nach Gleich auf den von Ähnlich nach Identisch: „Ich hätte gern das Identische!“ Ja, das ist dann eindeutig, da kommt dann keiner mit „Sie meinen aber das Ähnliche…!“ Und damit wär die Brez’n gegessen, oder eben der Crêpe (oder die Crêpe?).

Doch nicht nur auf dem Frankfurter Marktplatz beim Federweißerfest, auch sonst wo in Deutschland erleben wir tagein tagaus, wie wir in unserem Alltagsgebrauch von germanistischen Besserwissern verbesserwissert werden – ohne aber fei davor gefeit zu sein, es selbst zu tun!

Tatort Rostock, Küche in der WG einer Freundin. Wir reden und quatschen über dies und das und plötzlich entrutscht ihr ein „einzigster“… „Oh, hab ich das gerade echt gesagt? Ich!? Das ist mir noch nie passiert!“ Ich fand es jetzt zwar nicht so schlimm, sie wollte aber am liebsten gleich eine WG-Phrasen- und Falsches-Deutsch-Kasse aufmachen. Ja, EINZIGST ist im Prinzip nicht korrekt, denn wir haben schon EINZIG – in solch schönen Wendungen wie EINZIG UND ALLEIN und EIN EINZIGER – und das drückt semantisch schon diese besondere Singularität aus.

Aber muss man dieses draufgesetzte, ja gar aufoktroyierte Superlativ-Suffix gleich wie einen Super-GAU behandeln? Ist nicht EINZIGST einfach eine einfallsreiche Ad-hoc-Bildung, die schlichtweg EINZIG noch verstärken möchte? ZUR VOLLSTEN ZUFRIEDENHEIT, IN KEINSTER WEISE etc. Egal, ob es nun Elativ oder Hyperlativ heißt, solche unlogischen Bildungen gibt es durchaus öfters im Alltagsgebrauch genauso wie in der Standardsprache: Und dann käme ZU ALLERLETZT auch der ALLERBESTE Besserwisser GANZ UND GAR NICHT darauf, dafür in die WG-Kasse zu zahlen. Eher noch für die zwei hier weiter oben eingeschmuggelten “bösen” Begriffe.

So superlativst kommt nämlich auch der Super-GAU daher. Jahrelang schon wird er umgangssprachlich bekämpft, aber der super-größte anzunehmende Unfall hat unseren Gebrauch dermaßen befallen, dass man das SUPER nicht mehr wegbekommt (und außerdem gibt es ihn auch rein technisch). „Das wär’ ja der GAU!“ Da fehlt einfach etwas. Darüber hinaus ist es homophon zum GAU, dem Landstrich, wie in BREISGAU oder ALLGÄU. Außerdem klingt es wie ein x-beliebiger Nachname, oder fast schon wie GAUDI oder gar GAUDÍ. Also das SUPER muss mit, ganz klar, sonst wird man nicht verstanden! Oder sind es gar nicht die Otto Normalsprecher? Sind es sogar eher die Medien, die ihre Superlative heutzutage zu sehr lieben und sie uns quasi aufoktroyieren!?

Oh, ja, da schon wieder! Die AUF-Bewegung steckt doch schon im OKTROYIEREN drin! Beziehungsweise die Bewegung von oben nach unten. Sollten wir also von OKTROYIERTEN SYSTEMEN sprechen? Würden da nicht 100% aller Sprecher stutzig werden und eben nicht nur die Besserdeutschis? Die Einen, weil es ungewohnt klingt und die Anderen, weil sie über den korrekten Gebrauch verwundert sind…

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