Dienstag, 27. Juli 2010

Der eine Schritt

Vom (Un-)Glück, den einen Schritt machen zu müssen.

Nein, stolz bin ich auf die Sache an sich nicht. Wie könnte ich auch stolz auf etwas sein, was ich nicht gemacht habe, sondern nur bin, auf etwas, das ist? „Ich bin stolz, Deutscher zu sein“ ist genauso lächerlich wie stolz darauf zu sein, auf dem Planeten Erde zu leben. Ich bin, was ich bin und wer ich bin, und das ist auch gut so. Aber Stolz? Schmarnn/Iwo. Gay pride? No way.

„Ach, das ist doch nur ‘ne Phase! Hab einfach noch mehr Geduld!“ Um solche Sätze zu hören, muss man einen Schritt getan haben: den Schritt aus dem Schrank, the coming out of the closet; und dieser Schritt kann schwerer sein als alles, was man in seinem bisherigen Leben durchgemacht hat.

Warum wagt man einen solchen Schritt, wo man doch unmöglich vorhersehen kann, wie die Umwelt reagiert? Warum sich freiwillig in eine absolut angreifbare Situation bugsieren? Mit welchem wie auch immer gearteten Ziel?

Die Hollywood’eske Idee, das Schwulsein sei nur ein Vorwand, eine Art Tarnung à la Wolf im Schafspelz, um ungehindert Zugang zu Frauenschlafzimmern zu bekommen, ist zwar lustig, kann aber in der Praxis nicht bestätigt werden. Und sie wirkt eher kontraproduktiv bei Homosexuellen, die sich ihrer Neigung noch nicht sicher sind. Der Tritt aus dem Schrank ist die Offenbarung des Innersten, das Öffnen von Schleusen, das „Ja, ich bin ich“ an die Außenwelt. Jedoch immer begleitet von der Angst vor den Reaktionen. Ein schwerer Schritt.

Aber dieser Schritt ist auch etwas Besonderes, denn viele Menschen müssen diesen Schritt nie tun! Es gibt zwar Bekenntnisse aller Art, aber das Coming-Out ist einmalig; auch in dem Sinne, dass es nicht wiederholt werden muss. Andere Bekenntnisse, die garantiert niemals mit einem Schulterzucken aufgenommen werden, wie zum Beispiel „Ich bin schwanger“ oder „ich hab’ne Andere“, sind Situationen, die mehr als einmal vorkommen können.) Allerdings kann es passieren, dass man bei jeder neuen Bekanntschaft noch mal auf die offene Schranktür hinweisen muss – sofern man will.

Ja, ich bin stolz darauf, diesen Schritt getan zu haben. Und bei jedem Mal empfinde ich wieder so etwas wie Stolz – aber auch Scham, wenn ich das Thema bewusst umgehe (Reisen im konservativen Umfeld, Verwandtschaft). Ich durchlebe noch immer einen Lernprozess, der wohl nie endet: Wann ist es angemessen, auf meine sexuelle Neigung hinzuweisen?? Wann habe ich nichts zu befürchten? Wann muss ich für die Sache einspringen und sie „verteidigen“? Gerade beim Letzten habe ich noch viel Nachholbedarf und meine Antwort auf diese Frage muss lauten: immer!

Denn als Homosexueller lernt man Diskriminierung kennen, auch heute noch gibt es zahlreiche unangenehme Situationen: Sei’s der „schwule Pass“, den man nicht im Fußball spielen sollte, die Beschimpfung Anderer als „schwule Sau“, Fragen nach sexuellen Erfahrungen oder die versteckte Schwärmerei für einen Klassenkameraden. Und über allem schwebt die Angst davor, „entdeckt“ und verachtet zu werden. Auch als heterosexueller Junge durchlebt man zwar viele Schwulitäten, aber man kann sich sicher sein, dass zumindest EIN großer oder wichtiger Teil seines Umfeldes oder der Gesellschaft konform denkt (Familie, Freunde, Kirche etc.).

Wer Diskriminierung kennenlernt, wird generell für Andersartigkeit sensibilisiert (leider jedoch nicht alle). Man entwickelt einen besonderen Blick auf die Welt, gewinnt sozusagen eine weitere Perspektive, nämlich die einer Minderheit. Einer Minderheit, die kämpfen muss, weil sie ist, was die Mehrheit nicht ist.

Ich bin nicht nur schwul, sondern auch. Ich bin es nicht geworden, ich war es schon immer, und ich bin es und werde es sein. Es ist ein Teil von mir, aber nicht mein Leitprinzip. Und „schwul“ im Sinne eines gewissen Lifestyles oder Lebensentwurfs hat schlichtweg nicht zwangsweise etwas zu tun mit „schwul“ im Sinne von „ich fühle mich von Frauen einfach nicht sexuell angezogen“.

„Was? Du bist schwul?“ ist praktisch das fleischgewordene Denken hinter letztgenanntem Konzept: Schwul ist, wer Schwules tut. Wir alle müssen Abschied nehmen von solchen verkrusteten Ideen. Letztendlich muss es unser aller Ziel sein, dass ein Coming-Out nicht mehr nötig ist und dass es keinen Schrank in diesem Sinn mehr geben darf, in dem man sich erst verstecken muss.

Doch solange die Gesellschaft noch so funktioniert wie momentan, haben wir Homosexuelle die Chance, uns zu beweisen: Ja, wir haben einen schweren Schritt getan, unser „richtiges“ Inneres offenbart, uns auf Unvorhersehbares eingelassen! Darauf wiederum kann man wirklich stolz sein.

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