Dienstag, 27. Juli 2010

Coming-Out beim Schützenfest

Eine Rundumschau durch die internationalen Pressestimmen

Bis jetzt langweilt der FIFA World Cup 2010 schon ein bisschen. Auch sechs Spiele nach dem fulminanten Auftakt der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußball-Weltmeisterschaft gilt das 4:0 gegen Australien immer noch als das Beste, was man in den letzten Tagen in Südafrika an Spielkunst gesehen hat. Daher war ich interessiert an den internationalen Meinungen zu dieser Partie.

Zunächst war ich auf die britische Presse gespannt, denn eine irgendwie geartete Kriegsmetaphorik ist in der Yellow Press schnell abgetippt. Dennoch bekam ich die ersten Meldungen auf Deutsch zu lesen – und wovon ist da die Rede? Vom „Schützenfest“ … Gut, Tore schießt man in Deutschland und jemand, der Tore schießt, ist ein Torschütze: viele Schüsse machen also ein Fest. Okay. Die nächste Schlagzeile schlägt in dieselbe Kerbe: „Löws ‘Young Guns‘ schießen ‘Aussies‘ ab“ (de.eurosport.yahoo.com)… Tja, eine Gun ist nun mal ein Schuss-Gerät, und unsere National-Geräte, wenn man sie so nennen will, sind jung. So viel dazu.

Unser Fußball-Vokabular klingt also etwas martialisch – man denke natürlich auch noch an die Blutgrätsche, die ja schon zum Tackling „entschärft“ wurde. Apropos Schärfe, Bälle verlassen Özils Fuß, „um Viererketten zu teilen wie ein heißes Messer die Butter“ (AZ, 15. Juni 2010).

Und apropos Özil, schon mal aufgefallen, dass wirklich alle Mesuts türkischen Nachnamen richtig aussprechen, also mit einem stimmhaften S und eben nicht mit einem Z? Cem Özdemir hat da immer noch das Nachsehen. Wobei die Aussprache der Namen von Fußballern wieder ein ganz andere Baustelle ist…

Auf Französisch und Spanisch markiert man übrigens Tore und auf Englisch scoret man sie (vgl. „What’s the score?“ als Frage nach dem Spielstand), alles also viel friedlicher. Dafür ist immerhin unsere Nationalhymne unblutiger – was man bei den Öffentlich-Rechtlichen dank Video-Text-Tafel 888 bei jedem Spiel vor dem Anpfiff nachlesen kann.

Schließlich finde ich doch Pressestimmen aus dem Vereinigten Königreich. Leider – oder doch fortschrittlich für die Insel, was sie am heutigen Tag übrigens auch in einer viel wichtigeren Sache bewiesen hat – war nur vom „old enemy“ (www.thesun.co.uk) die Rede. Kein Panzer-Image? Nein, das kam eher von anderen WM-Teilnehmern – zu denen kommen wir gleich. Kein Blitzkrieg-Vergleich? Nein, nicht die Briten haben den Bezug zum 2. Weltkrieg hergestellt, sondern Moderatorin Müller-Hohenstein mit ihrem Kommentar zu Kloses „inneren Reichsparteitag“… und schließlich die Presse des Gastgeberlands selbst: So schreibt The Star (www.thestar.co.za) „German blitzkrieg sink Socceroos“.

Italien spricht dafür aber von einem Panzer, und zwar von einem „multi-ethnische[n] Panzer mit vortrefflichen Füßen“ (AZ; 15.06.2010), eine reichlich interessante Formulierung. Was sagt das Original? „… la Germania multietnica ha buona mira e piedi generosi.” (www.lastampa.it) Also ein gutes Auge und kein personifizierter Panzer. Hm, komisch, zumal auch der Rest des Artikels frei ist von kriegerischem Vokabular.

Vielleicht hat unser Nachbarland Frankreich ja etwas zu bieten. Voilà, laut Libération sieht’s so aus: „Die Deutschen überrollen alle, mit Özil als Drehscheibe, der nach allen Seiten Raketen abschießt“ (AZ; 15.06.2010). Ja, richtig, die Deutschen schießen eben Tore, und ein schneller Schuss wird gern mal Rakete genannt. Mal schauen, ob hier wenigstens im Original ein Panzer war, der dann nur weg-übersetzt wurde.

„…les Allemands déroulent, déferlent, avec Özil en plaque tournante pour lancer de jeunes fusées sur les côtés“ (www.liberation.fr). Gut, nicht so einfach zu übertragen, aber liest man weiter, mit Kontext und allem, dann lief hier wieder etwas falsch: dérouler hat erst mal nichts mit über-rollen zu tun, sondern mit ent-rollen, also sozusagen ab-spulen. Zieht man dann z.B. pons.de zu Rate ergibt sich aber wieder ein interessanter Quer-Vergleich zum passend übersetzten déferler, schaut man sich das dort eingetragene Beispiel dazu an:

… une vague de terrorisme déferle sur la France = eine Welle des Terrorismus überrollt Frankreich

Und die jeunes fusées, also junge Raketen kann bzw. muss man wieder mit den oben erwähnten young guns in Beziehung setzen – und ja, damit sind die Mitspieler Özils gemeint, die er als Regisseur des Spiels umherschickt und nicht vielleicht die Schüsse, was die verkürzte Übersetzung vermuten lassen könnte.

In der französischen Presse behält der Bremer übrigens seine Umlaut-Punkte sowie in Argentinien, in den englischsprachigen Medien und in Spanien und Italien büßt er sie jedoch ein (Ozil); Müller ereilt dieses Schicksal wiederum nur in englischen Texten: Während The Sun sie einfach weglässt (Muller), tauscht The Star sie gegen ein E ein (Mueller).

Und am Ende findet sich noch eine weitere Pressestimme, die wirklich Erwähnung verdient und alles andere in den Schatten stellt:

„Das neue Deutschland ist ein Skandal!“ (sueddeutsche.de)

Wieso ist guter Fußball ein Skandal? Habe ich etwas verpasst?! Laut Angabe ist diese Überschrift aus der spanischen Fußball-Zeitung Marca die Fußball-Zeitung überhaupt. Da sie aber im Original auf Spanisch ist, handelt es sich eben um eine Übersetzung. Und was steht im Original-Ausschnitt? „La nueva Alemania es un escándalo”.

„Éscandalo“ hat aber im Spanischen relativ wenig mit der negativen Bedeutung eines „Skandals“ zu tun, sondern vielmehr mit dem Drumherum, dem Lärm und der Aufmerksamkeit: „La Mannschaft“ hat auf die Pauke gehauen, hat sich lautstark zu Wort gemeldet, hat 90 Minuten in die Vuvuzela getrötet! Das war los – und nicht diese Übersetzung, die ist der Skandal!

Bei www.sport.de geht’s aber unter derselben Skandal-Überschrift noch weiter: „Deutschland blendete bei seinem Coming-Out in Südafrika.“ Aha, ein Coming-Out? Erst verpasse ich den Skandal und dann noch ein Coming-Out – auch noch im Fußball und bei der WM?! Auch hier diente Marca als Vorbild mit den Worten „Exhibición de los alemanes…“

Skandal wird wortwörtlich übersetzt, Exhibition wird aber mit einem Coming-Out in Verbindung gebracht. Wie beim Exhibitionismus geht es aber lediglich um eine Zuschaustellung – und Exhibitionisten sind nicht zwangsweise schwul… Hier geht es schlicht und einfach um eine Zuschaustellung des deutschen Fußballs! Nicht nur der Fußball an sich, und die Fußball-Welt im Allgemeinen, nein, auch Fußball-Reporter scheinen nicht so viel Ahnung von Homosexualität zu haben…

Oder ist mit dieser Übersetzung vielmehr gemeint, dass sich die deutsche Nationalmannschaft geoutet hat?! Gilt schwuler Fußball jetzt etwa als guter Fußball, quasi die Rehabilitierung des Wortes schwul? Wird man bald auf den Fußballplätzen der Provinz einen schlechten Pass als auch einen solchen bezeichnen und nur noch eine Steilvorlage, die zum Tor führt, einen schwulen Pass nennen?

Wir hoffen, der Übersetzer hatte diese Vision, so wie Olli Kahn nach dem Brasilien-Spiel auch sicherlich genau folgendes sagen wollte: „… bezeichnend war auch Maicon, der dann endlich steil gegangen ist…“

PS: Dank der gelungenen Übersetzung auf sport.de erschien am 15.06. diese Seite bei Google als Nummer 1, wenn man folgende Wörter eingab: Deutschland, Skandal, Coming-Out :)


Hier die entsprechenden Artikel und noch weitere „übersetzte“ Schlagzeilen, alles vom 15.06.2010:

http://de.eurosport.yahoo.com/13062010/73/wm-2010-loews-young-guns-schiessen-aussies.html

http://www.lastampa.it/sport/cmsSezioni/sudafrica2010/201006articoli/27466girata.asp

http://www.liberation.fr/sports/0101641251-l-australie-prend-un-bon-coup-de-rhin

http://www.marca.com/2010/06/13/futbol/mundial_2010/1276460736.html

[Der ganze Artikel liest sich im Original übrigens wunderbar!]

http://www.sport.de/cms/wm-2010/news/dfb-team.html?startid=347369

http://www.sueddeutsche.de/sport/pressestimmen-zum-das-neue-deutschland-ist-ein-skandal-1.958945-2

http://www.thesun.co.uk/sol/homepage/sport/football/worldcup2010/3012122/Germany-4-Australia-0.html

http://www.thestar.co.za/index.php?fArticleId=5513099

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